Es heißt ja immer, Afrika sei die Wiege des Lebens. Dort, in der heutigen Einöde, haben einst unsere Urahnen gehaust, sich entwickelt und schließlich über die arabische Halbinsel auf der Welt verbreitet. Die bekanntesten Fundstätten unserer prähistorischen Vorfahren liegen zwar eher im mittleren Osten des Kontinents, doch auch hier in Namibia ging die Geschichte der Menschheit nicht spurlos vorbei.
Die Felsmalereien der „White Lady“ und die Gravuren auf den Sandsteinen bei Twyfelfontain zeigen deutlich: Hier gab es schon vor vielen zehntausend Jahren menschliche Kulturen und Stämme. Die Malerei zeigen Rituale, Tiere und sogar detaillierte Pläne zu Wasserlöchern.
Wir laufen mit einem Guide, den man verpflichtend mitnehmen muss, einen schmalen Pfad entlang, der leicht bergauf durch die bekannt felsige Landschaft führt. Gerade fragen wir uns, wie präzise die „45-Minuten-Fußweg“-Angabe wohl war, als unser Tour Führer unvermittelt stehen bleibt und rechts neben dem Weg auf einen Stein deutet. Ganz unscheinbar liegt er da, wie all die anderen auch. Nicht größer, nicht schöner, nicht glatter. Ganz deutlich aber sind die jahrtausendealte Gravuren zu sehen. Einmal geschult, wie das aussieht, was wir eigentlich suchen, sieht man rings um überall die uralten Tafeln, die von Kulturen und Traditionen der Vergangenheit zeugen.
Unser nächster Stopp im mittleren Norden ist der Waterberg, genauer gesagt, das Waterberg Plateau das seinem Namen in zweierlei Hinsicht alle Ehre macht. Wem die Bezeichnung „Tafelberg“ ein Begriff ist, der kann sich dieses gigantische Schauspiel in etwa vorstellen. Nördlich der kleinen Stadt Okakarara erhebt sich wie aus dem Boden gestampft die außergewöhnliche Hochebene. 50 Kilometer lang, 20 Kilometer breit und nicht weniger als 200 Meter hoch. Das markanteste an der Formation sind dabei die kerzengeraden Abbruchkanten. Die Vegetation auf der Erhöhung, die als einzigartiger, abgeschotteter Nationalpark deklariert ist, reicht bis Nah an diese Kanten heran. Würde man oben auf eigene Faust herum stiefeln könnte man fast Gefahr laufen, abzustürzen. Soweit zu der Plateauformation, doch damit ist nur ein Teil des Namens erklärt. Bleibt noch: Water.
Unter dem Sandstein, der die sichtbare Oberfläche des Waterbergs bildet, trifft durchsickerndes Wasser etwa in „Normalbodenhöhe“ auf undurchlässiges Tongestein, wodurch am Fuße des Steilwände eine landesweit derzeit einzigartige Erscheinung auftritt:
Oberflächenwasser. Wie ein Regenrinnensystem wird das Wasser konzentriert und sparsam verteil, sodass selbst in dieser trockenen Zeit starke Quellen und Bächlein entstehen. In Folge dieser Anwesenheit von Wasser gestaltet sich die Flora rund um die Wanderpfade unbekannt dicht und urwaldartig. Ein grünes Paradies in einem völlig vertrockneten Landstück. Zweifellos eine der beeindruckendsten Erscheinungen unserer Reise, die noch gesteigert wird, wenn man sich bewusst macht, dass auf dem Plateau viele tausend Tiere leben. Teilweise bedrohte Arten, die nur hier zu finden sind und von der schützenden Abschottung des Parks nach außen profitieren.
Unsere letzte Woche bricht an, als wir uns von der Hamakari Lodge am Waterberg entfernen und entlang der B1 in Richtung Norden fahren. Dort planen wir unsere letzte und wohl spannendste Attraktion. Es gilt die Tierwelt hautnah zu erleben im riesigen Etosha-Nationalpark, der mit 20 000km² zwar nicht der größte des Landes ist, aber durch seine Vielfalt an Säugern und Vögeln heraus sticht. Wir befahren den Park durch das östliche Namutoni-Gate und begeben uns auf direktem Weg auf der einzigen Straße zügig zu unserem Camp. Denn dort schließen sie die Tore mit Sonnenuntergang, wer später kommt, hat Pech gehabt.
Der Nationalpark ist auch unter der Bezeichnung „Ethosa-Pfanne“ bekannt, was der riesigen ausgetrockneten Kalkfläche zu verdanken ist, die etwa 1/4 des gesamten Nationalparks ausmacht und wie eine vollkommen tote Fläche aussieht. Nur in sehr regenstarken Jahren füllt sich die Pfanne zu einem gigantischen See und verändert so das Gesicht des Nationalparks. Wieder einmal eine unglaubliche Transformation, die es Lust macht, dass Land zu einer anderen Zeit nochmal auf ein Neues zu erleben.
Während den drei Tagen im Park besteht unser Aktionsplan grundsätzlich aus zwei Dingen: sitzen und warten! Mit dem Auto fährt man zu einem der unzähligen Wasserlöcher, teils künstliche, teils noch natürliche, stellt den Motor ab und wartet zumeist schweigend bis sich aus dem Gebüsch die Tiere dem kühlen Nass nähern. Was langweilig klingt gestaltet sich zumeist äußert kurzweilig und abwechslungsreich. Kaum in Parkposition nähern sich große Zebra- oder Springbockherden. Es wir getrunken, gespielt, ab und an sogar gebadet. Und noch bevor die erste Familie die Bildfläche vollständig verlassen hat beginnen die nächsten Akteure ihre Vorstellung. Ob Elefanten, Oryx oder Kudus, zu allen kann man sich ein Familienstammbaum ausdenken und eine entsprechende Geschichte. So werden die Wasserlöcher schnell zu Bühnen der Tierwelt auf denen die Charakterzüge der Arten Grund zu Belustigung und Spannung gleichermaßen bieten. Die hageren Giraffen sind wie Clowns auf Stelzen, wenn sie versuchen – ihre Beine im Halbspagat – den Kopf zum Wasser zu bekommen. Die scheinbar seelenruhigen Nashörner dagegen fechten nicht selten einen Machtkonflikt über das „Wasserrecht“ mit ihren Artgenossen aus. Mehr als böses Schnaupen und wuchtige Drohgebärden kamen dabei aber nie zustande. Durch ihre Masse und ihr agressives Verhalten stehen sie aber zweifellos sehr weit oben in der „Ich-bin-Chef-Hierarchie“, sodass selbst der Löwe auf Abstand bleibt wenn das Nashorn meint, vor dem Wasserloch ein stehendes Nickerchen zu machen – nicht anders lässt sich das völlig regungslose und gleichgültige Verhalten der Tiere erklären.
Tierliebe und Seelenruhe hin oder her, wen das liebe Nashorn meint, seine Route nach Hause direkt an deinem Auto vorbei zu beschreiten, dann ist es mit gemütlichem Zuschauen vorbei. Richtig spannend wird es aber erst, wenn man sich beim Elefantenbullen nicht mehr sicher sein kann, ob er das Auto überhaupt gesehen hat. So unbeirrt und schnurstracks kam der Fünftonner zu unserer Motohaube gelaufen, dass auch wegfahren keine Option mehr war. Die Spannungskurve endete für uns alle in einem verstummten Luftanhalten und hoffen.Erst einige Tage zuvor hatte uns jemand erzählt, dass Ruhe bewahren das einzig Richtige sei, denn zu 95% wollen die Elefanten nur beschnuppern und alles verläuft ruhig. Bleiben 5% Angst.
Eigentlich ist er ein kaltblütiger Jäger, der Leopard. Aber es ist kurz nach zwei und die erbarmungslose Mittagssonne steht am Zenit, als wir die nachtaktive Raubkatze direkt am Straßenrand entdecken. Wie im Bilderbuch liegt sie auf einem dicken Ast und lässt die Gliedmaßen zu den Seiten herabhängen. Die schon bald angesammelten Besucher beachtet er nur beiläufig, entscheidet sich dann aber, nach einem eleganten Abgang, in den Tiefen des Busches zu verschwinden. Wie sich später an jenem Tag herausstellen sollte hatten wir ungemeines Glück mit dem Leoparden, denn es gibt im ganzen Park gerade mal 80 Stück. So manch ein Anwohner ist seit 10 Jahren fast täglich als Tourguide im Park und hat diese eleganten Tiere noch nie zu Gesicht bekommen.
Mit diesen eindrucksvollen und außergewöhnlichen Erlebnissen im Gepäck brechen wir auf zu unserem letzen Stopp vor der Heimreise. Wieder sind wir Gäste bei unseren Verwandten, diesmal aber die Nachbarfarm . Um unsere Liste der spektakulären Tiere zu vervollständigen brechen wir noch zweimal mit unserem Gastgeber Jürgen alias „Tunke“ auf um einen der seltenen Elands zu Gesicht zu bekommen. Doch trotz perfekter Sicht und erfahrenem Guide müssen wir uns am Ende mit einem schmackhaften Eland-Steak zufrieden geben. Butterzart und intensiv. Was bei den Tieren hier auf der Farm aber auffällt ist, dass sie nicht an Menschen gewohnt sind, wie das noch im Etosha-Park der Fall war. So zum Beispiel die Herde Gnu’s, die nichts als eine Staubwolke zurücklässt nachdem sie uns gesichtet hat. Die Tiere können also doch schnell, verdammt schnell sogar. Ein weiterer auffälliger Punkt hier auf der Farm und eigentlich auch immer wieder im ganzen Land ist die Energieversorgung. Andrea und Tunke leben vollkommen autark vom Stromnetz. In den Sonnenstunden werden Wasserpumpen, Kühllager und Heißwasser durch Photovoltaik bzw. Solar versorgt. Föhnen und Wäsche waschen dagegen ist nur möglich wenn der Generator am Mittag für zwei Stunden läuft. Dann werden auch die Akkus für die Nacht geladen, sodass niemand merkt, dass der Strom hier nicht selbstverständlich fließt.
Zum Abschluss: Süd-West-Afrika ist eine Reise mehr als wert! Es ist eine wahrhaft atemberaubende Mischung aus unendlichen Weiten und kleinen Details, aus winzigen Insekten und den größten Landtiere der Welt, aus trockenen Einöden und grünen Paradiesen und vielem Anderen mehr. Es gibt sicher Länder die ihrer Größe wegen komfortabler zu bereisen sind, doch wer nach Namibia geht, der sollte sich auf eine gesunde Portion Einsamkeit einstellen, im besten Sinne. Unberührte Natur wie hier sieht man selten und die mehr und mehr nachhaltig operierenden Lodges und Hotels lassen einen mit gutem Gewissen schlafen. Ich hoffe, dass die Tourismusverbände die Einsamkeit und Originalität der Natur hier auch in Zukunft schätzen, damit noch viele nach uns hier entdecken können, was unsere Erde uns zu bieten hat.